Einführung Asanapraxis

Die Yogapraxis – Eine kurze Einführung

Warum üben Yogis Asanas? Das werde ich sehr oft gefragt, was ist das, Gymnastik? Was ist Yoga denn eigentlich? Oft beginnt eine Yogastunde in etwa so:

Wir üben Tadasana, die Berghaltung. Stehe – wenn möglich barfuß – auf einer ebenen Fläche. Halte 5 – 10 cm Abstand zwischen den Füßen und richte die Innenseiten der Füße parallel zueinander nach vorne aus. Der Blick bleibt während des Übens die ganze Zeit entspannt nach vorne ausgerichtet.

Stell‘ dir vor, du stehst glücklich auf dem Gipfel eines Berges und lässt den Blick in die Ferne schweifen. Das Blickfeld weitet sich und die äußeren Augenwinkel bewegen sich in Richtung Schläfen. Die Augäpfel ziehen sich sanft in Richtung Hinterkopf zurück und ruhen weit hinten in der Augenhöhle. Die Muskulatur und die Haut um die Augen herum wird weicher, die Pupillen weiten sich und der Blick wird ruhig und entspannt.

Der Sehsinn ist derjenige unserer Sinne, der am stärksten mit der Außenwahrnehmung verbunden ist. Lassen wir die Augen zur Ruhe kommen und fokussieren nicht, verbessert sich unsere kinästhetische Wahrnehmung, also die bewusste Wahrnehmung unserer Bewegungen und die Wahrnehmung der Prozesse, die durch diese Bewegungen im Körperinneren angestoßen werden. Der Sehsinn wendet sich nach innen.

Mit dem nach innen Wenden der Sinne, Pratyahara, wendet sich unser Gehirn, das unsere Sinneseindrücke verarbeitet ebenfalls nach innen. Unser Intellekt und unsere Gedanken werden ruhig, wenn wir sie zielgerichtet auf die Wahrnehmung unserer Bewegungen und Sinneseindrücke im Körperinneren lenken.

Es ist ja alles schon da, alles liegt in uns. Yoga ist eine Möglichkeit, das zu erkennen. Der Yoga ermöglicht uns Bewusstwerdung. Yoga verändert nicht, was schon da ist, aber es ändert den Blick und den Umgang mit dem was ist. Yoga verfeinert unsere Wahrnehmung: der Umgang mit und die  Reaktion auf unsere Empfindungen und Befindlichkeiten, intellektuell, körperlich und seelisch, wird uns bewusst und damit auch veränderbar.

Aus einem Islandpony wird ja – auch wenn ich es genauso trainiere und mit einem Rennpferd auf die Koppel stelle – kein Vollblut-Derbysieger. Das Islandpferd ist ein Islandpferd und das Rennpferd ist ein Rennpferd. Aber beide werden ihr Potential entfalten, wenn ich Sie mit der gleichen Achtsamkeit, Liebe und Hingabe pflege und trainiere.

Was wirklich lebenslang zunimmt, sich verfeinert und vertieft ist die Fähigkeit des Yogi zu beobachten und wahrzunehmen, sowohl die eigenen inneren Prozesse auf körperlicher, geistiger und seelischer Ebene, wie auch die äußeren Prozesse. Das Yogaüben macht uns vielleicht beweglicher, oder stärker, wir können uns besser konzentrieren, werden geduldiger und unsere Resilienz, unsere psychische Widerstandskraft wird gesteigert. das sind dann willkommene Nebeneffekte. Das ist einfach darauf zurückzuführen, dass wir Bereiche unseres Daseins pflegen, trainieren und verbinden, denen wir bisher nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt haben.

In dieser Bewußtwerdung jenseits unseres Denkens liegt Wahrhaftigkeit, liegt Weisheit. Lediglich das Anhäufen von intellektuellem Wissen und körperliches Training um seiner selbst Willen, werden nicht dazu führen. Aus der Reaktion unserer Mitmenschen und unserer Umwelt auf uns selbst ziehen wir Rückschlüsse über uns selbst, suchen unseren Platz in der Gesellschaft, in der Familie in der Beziehung zu unseren Freunden und Partnern.

Yoga lehrt uns die Selbstwahrnehmung und Selbstverantwortung. Jede Bewegung, jeder Gedanke hat eine Auswirkung, lößt weitere Prozesse aus. In uns selbst, aber auch nach außen.

Yoga ist eine zeitlose, pragmatische Wissenschaft. Sie beschäftigt sich mit dem Wohlbefinden des Menschen, auf körperlicher, moralischer, mentaler und geistiger Ebene. So beschreibt das B.K.S. Iyengar in seinem Buch „Licht auf Yoga“ (vgl. , B.K.S. Iyengar, Licht auf Yoga, 4. Auflage 1999 der Neuausgabe von 1993, O.W. Barth Verlag). Die Mittel und Methoden mit deren Hilfe Yoga praktiziert wird, um dieses Wohlbefinden zu erlangen, sind die acht Glieder (Ashtanga) des Yoga:

Yama – Niyama – Asana – Pranayama – Pratyahara  – Dharana – Dhyana – Samadhi

Yoga leitet sich ab von Yui, das heißt verbinden. Auf dem Yogaweg, Yoga-Marga, werden diese acht Glieder des Yoga miteinander verbunden.

Warum üben Yogis also Asanas? Asana ist eines der acht Glieder. In der Asanapraxis können wir nachvollziehbar und methodisch den Weg von den Äußerlichkeiten, dem Sichtbaren nach innen erlernen und dabei alle anderen sieben Glieder des Yoga anschaulich und erfahrbar integrieren.

Warum üben wir gemeinsam? Weil sich beim gemeinsamen Üben und im gegenseitigen, vertrauensvollen Austausch nicht nur das Verständnis und Wohlbefinden für uns selbst entwickeln, sondern auch das Verständnis füreinander und das Wohlbefinden in der Gemeinschaft wächst.

ZU FRIEDEN IN UNS SELBST UND ZU FRIEDEN MITEINANDER